Mühlengeschichten der Stadt Witzenhausen  von Matthias Roeper

Mahl- und Mühlenrecht war immer ein Hoheitsrecht, welches nur unter bestimmten Bedingungen von den Rechtsinhabern vergeben wurde. Darum nahmen auch Müller immer einen Sonderstatus ein, denn der Besitz oder die Pacht einer Mühle war zugleich der Besitz eines ständigen , wenn auch sehr oft wechselhaften Einkommens.

Mühlenbäche gab es allenthalben und wo die Natur nicht ausreichend vorgesorgt hatte, wurde von Menschenhand nachgeholfen, um Wasserkraft zum Antreiben der Mühle nutzbar zu machen.
So auch in Witzenhausen mit der Mühlengelster, deren Anlage weit ins Mittelalter, wahrscheinlich in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, zurückreicht.

Die Mühlengelster verschwand im Zuge des Straßenbaus bzw. der Altstadtsanierung in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Die Mühlengelster war ein Nebenarme der Gelster, der auf kunstvolle Weise kilometerweit vom Gelstertal einzig zu Zweck dem angestaut und reguliert wurde, sämtliche Witzenhäuser Mühlen zu treiben.
Sie folgte in etwa dem Verlauf der heutigen Gelsterstraße, trieb mehrere Mühlen und mündete schließlich in Höhe des heutigen Fußgängertunnels in die Werra.

Noch auf dem ältesten erhaltenen Stadtplan des Jahres 1742 enden die drei Mühlgassen, die Ober-, Mittel- und Untermühlgasse an der Mühlengelster, wie hier auch nach Osten hin die eigentlich bebaute Stadt endete.

Die frühesten Nachrichten über das städtische Mühlenwesen datieren aus dem Jahre 1268, in dem insgesamt drei Mühlen innerhalb der Stadtmauer bezeugt sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit befand sich unter ihnen auch die in der Obersten Mühlgasse = Obermühlstraße gelegene Obermühle.
Damit ist die Obermühle bzw. die heutige Bäckere / Cafe Erner der einzige Standort in Witzenhausen, an dem seit fast 750 Jahren Mehl gemahlen oder Mehl zu Brot und Backwaren verarbeitet wird.

Im Jahr 1335 wurde eine vierte Mühle an der Werra errichtet und 1352 entstand dann die spätere Bäckermühle außerhalb der Stadtmauern vor dem Walburger Tor
Sowohl die innerstädtischen Mühlen als auch die beiden Betriebe vor den Toren unterstanden zuerst dem Landgrafen, der diese entweder an einzelne Familien oder an eine Konsortium Witzenhäuser Bürger vergab und dafür Abgaben kassierte.

Bald gelang es aber dem Rat der Stadt, insgesamt vier im Mauerbereich liegende Mühlen in seinen Besitz zu bringen:

Die Obermühle, die Obermittelmühle, die Untermittelmühle und die Untermühle.

Der Rat verpachtete die Betriebe jeweils auf Zeit, in der Regel sechs Jahre an erfahrene Müllermeister und versuchte so, die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sicherzustellen.

Zusätzlich zu den reinen Mehlmühlen gab es auch Maschinen zum Schlagen, Walken, Schneiden und Ölpressen wie dies übrigens auch für die Obermühle bezeugt ist, die im Jahr 1815 um eine Ölmühle erweitert wurde und zum Papiermachen in einer der frühesten Papiermühlen Deutschlands im Gelstertal.

Seine stärkste Ausprägung fand das Mühlenwesen in Stadt und Kreis Witzenhausen im 19. Jahrhundert. In dieser Epoche gab es insgesamt 122 Mühlen im damaligen Kreisgebiet, davon allein sieben in der Stadt Witzenhausen. Es konnten also auf etwa 260 Einwohner  eine Mühle gerechnet werden

Um 1870 setzte dann eine Revolutionierung der Mühlentechnik mit neuen Erfindungen für neue Bedürfnisse ein. Die Turbine verdrängte das Wasserrad, der Walzenstuhl ersetzte die Mahlsteine, Moderne Großmühlen machten den zahlreichen Kleinmühlen die Existenz schwer.
Beispiel für diese Entwicklung war in Witzenhausen die sog. Ritzmühle, die, aus der ehemaligen Bäckermühle entstanden, nach und nach zu einem der größten Mühlenbetriebe Deutschlands aufstieg ehe sie Ende der 60er Jahre per Gesetz geschlossen wurde.

Zurück zur Obermühle, von der einige Pachtverträge, Inventarlisten etc. erhalten geblieben sind. Ausführlich beschrieben wird sie bereits im sog. €ž”Lager-, Stück- und Steuerbuch” aus dem Jahr 1745, in dem es im §24 Mühlen u. a. heißt:

Hat hiesige gemeine Stadt zwei eigentümliche Mühlen,, als

1, die Obermühle, so dermalen Johann Philipp Nößell gegen 16 ½ Malter Korn, ½ Malter Weizen an die Kämmerei, 3 Reichstaler Bürgermeistersgebühr, ½ Reichtaler Schriebgebühr. 
item an hiesige Renterei 27 Albus 8 Heller Grundzins, ½ Schock Eier und 2 jungen Hähne, sodann Anschaff- und Fütterung des Reitochsens unter die Walburger Herde, pachtweise besitzet.

Dieselbe hat einen unterschlächtigen Mahlgang, worauf alle 24 Stunden füglich 3 Malter kleingemacht werden könnten; weilen aber nicht nur in der Stadt 5 und auf denen mehresten umliegenden Dörfern Mühlen befindlich, so mangelt es oft am Getreide, und muß wohl 5 - 6 Monate im Jahr stille stehen.

Schrätet anjetzo für die ganze Brauerschaft das Malz und bekommet von 1800 Pfund, welche `praepter propter`9 ½ Malter ausmachen, ½ Reichstaler, wogegen er denen Brauern das Bier vor die Türen fahren muß, mahlet außerdem jährlich 560 Malter , wovon es ihm a 1/24 Molter 23 1/3 Malter erträget Hat daneben eine Bockemühle, welche jedoch nur im Herbst und Frühjahr etliche Monate gebraucht wird, bekommt davon täglich  2 Albus und 1 Bock Flachs, dass sich also der Nutzen davon jährlich höchstens auf 4 Reichstaler beläuft.“

 

Interessant ist auch die Beschreibung und Wert – Taxierung des Mahlwerks,
die am 15.2.1773 durch, wie die Akte vermerkt, 3 hierzu spezialisierte verpflichtete Müller – Meister“ durchgeführt und tabellarisch festgehalten wurde.

    1)

                                                    2)

Den Untern Gang betreffend

1.  Die Welle                                                                                 5        8      -
2.  Das Wasser Bad                                                                      7       16      -
3.  Zapfen und Rinken auswendig                                                1        24    10
4.  Die Frey fluth ist nichts nütze                                                   -          -       - 
5.  Das Kopfrad, Rinken und Zapfen                                             6       21      4
6.  Der Trillitz                                                                                 -        16       -  
7.  Das Kam Bad vor der Mühle                                                    3       10       8

                                                                                 Latus         102        8       2

     ferner

8.  Die Trillitz – Welle                                                                    -         10       8
9.  Der Mehl Kasten                                                                       3        24       -
10.Der Molter Kasten ist alt                                                            -          8       -
11.Haue, Spille und Pfanne                                                           2        21      4
12.Die Steine zusammengelegt halten 10 Zoll                              6        21      4
13.Der looße Kasten gehöret den Conductori
14.Die Beutels sind gut und BrauchBahr                 Latus           13        21      4 

 

Summa des gantzen taxati thut                                              114         29      6

 

Verpachtet wurde die Obermühle – wie die anderen Stadtmühlen auch – an  wechselnde Besitzer und dies in der Regel auf sechs Jahre.
Diese Praxis behielt man seitens der Stadt bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bei, dann bot man, alternativ zur Verpachtung, alle drei städtischen Mühlen auch zum Verkauf an..

„Nachgenannte städtische Eigenthümlichkeiten“ so die Bekanntmachung des damaligen Bürgermeisters Eberhardt vom 14. April 1841, …die Obermühle mit zwei unterschlächtigen Mahlgängen und einer Oelmühle (…) an der Gelster, einem im Sommer nie versiegenden, im Winter nie zufrierenden Wasser gelegen, soll mit allem Zubehör (… ) zum Verkauf angeboten werden“. Als Versteigerungstermine wurden der 3. bzw. 24. Mai und der 14. Juni angesetzt, bei denen alle drei angebotenen Mühlen neue Besitzer fanden:

Die Untermühle ging für 5001 Taler an den „hiesigen Bürger und Bäckermeister Daniel Degenhardt“, die Mittelmühle erwarb der „Bürger und Bäckermeister Christian Rothfuchs“ für 3061 Taler und die Obermühle schließlich kaufte der „Bürger und Oekonom Adam Kindervatter“ für 3500 Taler.
Seit dieser Zeit befand sich die Obermühle ausnahmslos in wechselndem Privatbesitz 

So gehörte sie z. B. in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts dem, wie die städtischen Akten es damals formulierten, „Mühlenbesitzer Otto Bretthauer“, der die Leistungsfähigkeit der Mühle 1923 durch den Einbau von Turbinen erheblich zu steigern vermochte und damit allerdings auch einen seiner Mitbewerber auf den Plan rief. 

Während der Baumaßnahme musste Bretthauer zur Ableitung der Mühlengelster eine Rohrleitung durch die Obere Mühlstraße verlegen - was seinen unmittelbaren Konkurrenten und Nachbar Wilhelm Coym, den Inhaber der Mittelmühle ( heute das Capitol – Kino) auf den Plan rief. Dieser verlangte bei der Stadtverwaltung die unverzügliche Beseitigung des Grabens und es entwickelte sich ein andauernder Schriftverkehr, der schließlich mit der Genehmigung des Grabens durch den Magistrat endete.

Aus dieser Zeit ist auch eine kleine Episode zum Schmunzeln erhalten geblieben, die vom  Wohl und Wehe eines städtischen Zwetschgenbaumes handelt. Am 19.11.1925 flatterte dem schon erwähnten W. Coym als Vertreter der Witzenhäuser Mühlenbetreiber folgender Brief der Verwaltung ins Haus:

„Es ist polizeilich festgestellt worden, dass aus dem Mühlengraben an der Hovestadt zwischen der Bleiche und dem Wehr Wasser durch den Mühlendamm dringt. Durch diesen Zustand wird ein städtischer Zwetschenbaum unter Wasser gesetzt und droht einzugehen, wenn nicht sofort Abhilfe geschaffen wird.

Wir bitten Sie, in Gemeinschaft mit den übrigen Mühlenbesitzern dafür Sorge zu tragen, dass die schadhaften Stellen des Mühlendamms ausgebessert werden, andernfalls wir die Mühlenbesitzer für den entstandenen Schaden haftbar machen müssen.“ 

Was nun genau in dieser Angelegenheit weiter geschehen ist und vor allem, ob der Zwetschgenbaum gerettet werden konnte, ist leider nicht bekannt.

Bekannt ist, dass im Jahr 1959 die Obermühle von der Familie Erner erworben wurde, in der Folgezeit als Mühle stillgelegt, in vielen Schritten aufwändig modernisiert und bis heute als Bäckerei und Cafe betrieben wird.